Besondere Beziehungen
Dieser Artikel weckte sofort meine Aufmerksamkeit. Vielleicht war es der sogenannte „Subtitle“ oder der Mensch, über den berichtet wurde; vielleicht lag es auch an dem Ort, oder einer Mischung aus allem.
Ich war mehr als interessiert und freute mich auf die Geschichte, die mit dem folgenden Subtitle verbunden war:
„Es ist die Geschichte einer besonderen Beziehung – der Beziehung zwischen Thomas Cornelius und der Orgel in der Elbphilharmonie. Thomas Cornelius ist der Organist des NDR-Elbphilharmonieorchesters, das in diesem Haus beheimatet ist.“
Faszination Hingabe
»Der springt zu schnell an!«, »Der gurgelt!«, »Der neigt zur Brutalität!«
Es sind Sätze wie diese, die mich diese besondere Beziehung spüren lassen. Schnell vergesse ich, dass es sich hier um Pfeifen und Töne handelt und bin gedanklich bei einem Drehbuch und eine Geschichte beginnt in mir Gestalt anzunehmen.
Doch worum geht es hier?
„Nur mit Hingabe kann es gelingen, über Wochen die fast 5000 Pfeifen zu reinigen und dabei für jede Pfeife mit den Mitarbeitern des Orgelbauers minuten- oder manchmal eine halbe Stunde lang über den Klang zu diskutieren, die oben zitiert werden. Bei ihnen geht um den perfekten Ton.“ —
- Und ich beginne nachzudenken, in welchem Bereich ich meine Hingabe lebe?
- Wo ist es für mich wichtig, dass es richtig gut ist?
- Und wo habe ich meine eigene Sprache, die meine Empfindungen ausdrückt? Ist es die Sprache der Farben („Das ist wie ein bunter Blumenstrauß)? Der Musik („Das ist wie Musik.“)?
- Wie ist es bei Dir? Erinnert Dich Deine Hingabe vielleicht an einen schönen Geruch, den Du liebst? Wann geht Dein Herz auf?
Neuneinhalb Minuten
»Es war meine Form von Gebet. Ich habe gespielt, vom kleinsten Piano bis ins größte Forte, und die Orgel gab wieder, was ich gedacht habe.«
„Neuneinhalb Minuten spielte Thomas Cornelius eine Eigenkomposition, als seine Frau ihn anrief, dass die Wehen begannen. Thomas Cornelius unterbrach sein eigentliches Spiel für seine Form des Gebets.“ —
- Und ich denke an mich und mein Leben und frage mich, welche meine Art von Gebeten lebe ich?
- Welche sind meine Rituale, die mich angebunden fühlen und voller Vertrauen sich dem neuen stellen lassen?
Die Geschichte hinter der Geschichte
»Die Orgel war meine Rettung. Ich hatte ein Ventil für meine Wut.«
Für Thomas Cornelius war die Orgel immer auch eine Flucht. »Damals als Kind, als ich das Gefühl hatte, dass er [sein Vater, Anm.] immer alles besser weiß. Die Orgel konnte ich besser, es war der Bereich, in dem ich nicht kontrolliert werden konnte.“ —
- Ich denke wieder an mich und mein Leben. Erinnere mich an meine Beziehungen zu meinen Eltern.
- Was war mein Ventil als Kind und Jugendliche? Und wie hat sich dieses Ventil in meinem weiteren Lebensweg vielleicht weiter eingewoben?
- Wie hat mich „mein Ventil“ vielleicht zu dem Menschen werden lassen, der ich gerade bin?
Na du?
»Die Orgel nimmt dich in den Schwitzkasten. Der Klang kommt um dich herum, schaut dich von vorn an und raunt: ›Na, du?« —
- Und ich stelle mir spontan vor, wie ich ein ähnliches Gegenüber habe, zu dem ich eine besondere Beziehung habe, das mir „Na, du?“ zuraunt.
- Wer oder was ist das jetzt, heute, hier in meinem Leben? Wer oder was nimmt mich in den Schwitzkasten und fordert mich? Und wie stelle ich mich dem?
- Und wie kann ich es mir vielleicht wieder leichter machen? Wie kann ich vielleicht wieder mehr in den Fluss kommen?
- Wie gut kann ich entspannen, wenn ich gefragt werde „Na, du?“
Und vielleicht einfach auf meinen Atem achten, wie er einen schützenden Kreis um mich bildet, indem ich über meine Körperrückseite bis zur Spitze meines Kopfes einatme und die Anspannung auf meiner Körpervorderseite mit dem Atem über meine Füße in die Erde abfließen lasse. Und mit jedem Atemzug meine Schulter mehr und mehr entspannen kann. Um dann, bei mir angekommen, sage: „Na, du?“
Links zum Artikel
- Spiegel Online vom 10.02.2021: „Ich wollte diese Macht und diese Stimme haben.“
- Führung von Thomas Cornelius durch das Wunderwerk der Orgel in der Elbphilharmonie
P.S. Wusstest Du, dass die Orgel eigentlich ein Zufallsprodukt ist und eigentlich ein hydraulischer Friseurstuhl werden sollte? Und das 300 Jahre vor Christus? (Gehört in der Führung von Thomas Cornelius)
Vielen Dank, liebe Autorin von Spiegel Online für diesen für mich wundervollen Artikel. 🙂